Otto Schmidt Verlag

BGH v. 11.10.2023 - IV ZB 26/22

Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern

Der Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern (hier: Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern) bemisst sich nach dem Vermögen beider (§ 86 Abs. 1 und 2, § 102 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2, § 109 Abs. 1 GNotKG).

Der Sachverhalt:
Der Kostengläubiger (Notar) beurkundete am 10.5.2017 einen Pflichtteilsverzicht der Kinder der Kostenschuldner. Diese verzichteten gegenüber dem Erstversterbenden ihrer Eltern auf ihr Pflichtteilsrecht einschließlich Pflichtteilsergänzungsansprüchen ausschließlich zugunsten des länger lebenden Elternteils; der Verzicht wurde angenommen. In seiner Kostenrechnung vom 10.5.2017 über rd. 440 € erhob der Notar die Gebühren für die Beurkundung und den Vollzug des Geschäfts aus einem Geschäftswert von rd. 36.000 €, dem das Vermögen nur eines Elternteils zugrunde lag. Die Notarkasse vertrat die Auffassung, dass für den Wert des Pflichtteilsverzichts das Vermögen beider Elternteile zu berücksichtigen sei.

Auf Anweisung der Präsidentin des LG verlangte der Notar eine gerichtliche Entscheidung über die Kostenberechnung. Das LG änderte die Kostenrechnung dahingehend ab, dass sich der Rechnungsbetrag aus einem Geschäftswert von 72.500 € auf rd. 660 € beläuft. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Notars hob das OLG den Beschluss des LG auf und bestätigte die Kostenrechnung. Auf die auf Anweisung der Präsidentin des LG erhobene Rechtsbeschwerde des Notars hob der BGH wiederum den Beschluss des OLG auf und wies die Beschwerde des Notars gegen den Beschluss des LG zurück.

Die Gründe:
Der Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages entspricht nach § 102 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 GNotKG dem Pflichtteilsbruchteil am (modifizierten) Reinvermögen des Erblassers. Die Frage, wie sich der Geschäftswert bei einem Pflichtteilsverzicht gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern bemisst, ist umstritten.

Nach einer Auffassung ist das Vermögen beider Erblasser zugrunde zu legen. Es handele sich um zwei selbständige Pflichtteilsverzichtsverträge mit beiden Erblassern. Diese seien zwar auflösend bedingt, aber bedingte Verträge seien kostenrechtlich wie unbedingt abgeschlossene zu bewerten. Nach anderer Ansicht ist nur der Wert des Vermögens eines Erblassers zu berücksichtigen. Da von vornherein feststehe, dass die Bedingung eintreten werde und nur ein Pflichtteilsverzicht wirksam werden könne, sei auch nur dieser eine Verzicht für den Geschäftswert maßgebend. Die erstgenannte Ansicht trifft zu. Der Geschäftswert der Beurkundung eines Pflichtteilsverzichts gegenüber dem Erstversterbenden von zwei Erblassern entspricht dem addierten Wert beider Pflichtteilsverzichtsverträge.

Nach § 86 Abs. 1 GNotKG ist der Beurkundungsgegenstand das Rechtsverhältnis, auf das sich die Erklärungen beziehen. Mehrere Rechtsverhältnisse sind gem. § 86 Abs. 2 GNotKG verschiedene Beurkundungsgegenstände, deren Werte - vorbehaltlich der Ausnahmeregelung in § 109 GNotKG - nach § 35 Abs. 1 Halbsatz 1 GNotKG zusammenzurechnen sind. Nach dem Grundsatz des § 86 GNotKG ist daher jedes Rechtsverhältnis als eigenständiger Gegenstand zu behandeln und zu bewerten. Bei den hier beurkundeten Pflichtteilsverzichtsverträgen handelt es sich in diesem Sinne um mehrere Beurkundungsgegenstände, da sie sich auf mehrere Rechtsverhältnisse, die Pflichtteilsrechte der Kinder nach beiden Elternteilen, beziehen. Die Pflichtteilsverzichte sind durch den Tod des jeweils anderen Erblassers auflösend bedingt.

Das OLG ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass deswegen nur einer der beiden Verzichte wirksam werde und die Kinder letztlich nur auf ein Pflichtteilsrecht verzichteten. Das Pflichtteilsrecht als durch die Beurkundung gestaltetes Rechtsverhältnis ist nicht der zukünftige Pflichtteilsanspruch auf Zahlung gegen den Erben, der erst mit dem Erbfall gem. § 2317 Abs. 1 BGB entsteht. Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsanspruch sind voneinander zu unterscheiden. Der Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das seinem Gegenstand und seiner Eigenart nach nur mit dem Erblasser zu dessen Lebzeiten abgeschlossen werden kann, und erfasst daher allein das Pflichtteilsrecht.

Das Pflichtteilsrecht ist ein Rechtsverhältnis, das schon zu Lebzeiten des Erblassers besteht, rechtliche Wirkungen äußert und gerichtlich festgestellt werden kann. Die Verzichtsverträge mit beiden Elternteilen haben daher von der Beurkundung an rechtliche Wirkungen für mehrere Rechtsverhältnisse, die sich nicht darin erschöpfen, dass zukünftig nur einer der Pflichtteilsansprüche nicht entstehen wird. Verträge unter den künftigen gesetzlichen Erben über den Pflichtteil eines von ihnen i.S.v. § 311b Abs. 5 BGB hätten die Veränderung dieser Rechtsverhältnisse zu berücksichtigen. Für die künftigen Erblasser bedeutet die Beurkundung, dass von ihren letztwilligen Verfügungen abhängt, ob die vereinbarten Pflichtteilsverzichte wirken oder nicht, da der Verzicht nur zugunsten des anderen Elternteils erklärt wurde. Die Wirkung der Verzichtsverträge erschöpft sich daher nicht darin, nur einen der künftigen Pflichtteilsansprüche am Entstehen zu hindern. Die auflösende Bedingung wird zwar für einen der Verzichtsverträge sicher eintreten, aber zur Zeit der Beurkundung, auf die es für den Geschäftswert ankommt, hat dies noch keine Bedeutung für die Umgestaltung der Rechtsverhältnisse mit beiden Erblassern.

Mehr zum Thema:

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§ 86 Beurkundungsgegenstand
Wudy in Rohs/Wedewer, Gerichts- und Notarkostengesetz
139. Aufl./Lfg. 01.2023

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§ 102 Erbrechtliche Angelegenheiten
Waldner in Rohs/Wedewer, Gerichts- und Notarkostengesetz
139. Aufl./Lfg. 01.2023

Kommentierung | GNotKG
§ 109 Derselbe Beurkundungsgegenstand
Wudy in Rohs/Wedewer, Gerichts- und Notarkostengesetz
141. Aufl./Lfg. 07.2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.11.2023 13:53
Quelle: BGH online

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