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Grenzen der Verbundzuständigkeit bei Scheidung mit Auslandsbezug - Dargestellt am Beispiel einer britisch-deutschen Ehe bei gewöhnlichem Aufenthalt der Beteiligten im Vereinigten Königreich (Xylander/Stockmann, FamRB 2023, 474)
Scheidungen mit Auslandsbezug werfen regelmäßig die Frage nach der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Scheidung und etwaige Folgesachen auf. Besonders bei Beteiligung eines Nicht-EU-Staatsbürgers kann die Bestimmung der Zuständigkeit Probleme bereiten. Seit dem sog. Brexit gehört zum Nicht-EU-Ausland auch das Vereinigte Königreich. Am Beispiel einer britisch-deutschen Ehe bei gewöhnlichem Aufenthalt der Beteiligten im Vereinigten Königreich stellen die beiden Verfasser die Grenzen der Verbundzuständigkeit in solchen Fällen dar.
I. Einleitung
II. Zuständigkeit für die Scheidung
III. Frage nach der Folgesachenzuständigkeit
IV. Internationale Folgesachenzuständigkeit nach Unions- und Konventionsrecht
1. Versorgungsausgleich
2. Unterhaltssachen
3. Ehewohnungs- und Haushaltssachen
4. Güterrecht
5. Kindschaftssachen
V. Tabellarische Übersicht: Zuständigkeiten und anwendbares Recht
VI. Fazit
I. Einleitung
Immer wieder stellt sich bei internationalen Ehen die Frage nach der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Scheidung und Folgesachen. Probleme kann die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit besonders bei der Ehe eines Deutschen und eines Nicht-EU-Staatsbürgers bereiten. Zum Nicht-EU-Ausland gehört seit seinem Austritt aus der EU zum 31.12.2020 auch das Vereinigte Königreich, was seitdem zu einem erhöhten Aufkommen solcher Fälle auch außerhalb der Grenzregionen zur Schweiz und zu Dänemark führt.
Haben beide Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wird – wie noch zu zeigen sein wird – in aller Regel, unabhängig von der Nationalität der Eheleute, die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Scheidung und die Folgesachen unproblematisch gegeben sein.
Aufmerksamkeit verdient dagegen die Konstellation, in der ein deutscher und ein britischer Ehegatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben. Diese wird im nachfolgenden beleuchtet. Die gefundenen Ergebnisse können grundsätzlich verallgemeinert werden auf alle Fälle der Ehe eines deutschen Staatsangehörigen mit einem Nicht-EU-Staatsangehörigen bei gewöhnlichem Aufenthalt beider Teile außerhalb der EU.
II. Zuständigkeit für die Scheidung
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Scheidungen mit internationalem Bezug ergibt sich wegen Art. 288 AEUV vorrangig aus der EuEheVO/Brüssel IIb. § 97 Abs. 1 Satz 2 FamFG bringt dies im deutschen Verfahrensrecht nochmals in Erinnerung. Ebenfalls vorrangig zu beachten sind völkerrechtliche Regelungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. In der Praxis haben solche im Vergleich zu den europarechtlichen Bestimmungen geringere Bedeutung, werden nachfolgend aber auch angesprochen.
Brüssel IIb ist als Kompetenzregelung der EU auch anzuwenden bei Beteiligung von Angehörigen eines Drittstaates oder von Staatenlosen; sie beschränkt sich also nicht auf das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten.
Haben Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sind deutsche Gerichte für ihre Scheidung nach der allgemeinen Zuständigkeitsregelung in Art. 3 lit. a i Brüssel IIb unabhängig von ihrer Nationalität zuständig. Haben Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich (VK) und sind beide deutsche Staatsbürger, sind die deutschen Gerichte für die Scheidung ebenfalls zuständig (Art. 3 lit. b Brüssel IIb).
Ist dagegen nur einer der Ehegatten Deutscher und haben die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt im VK, so sucht man in den sieben (gleichberechtigt nebeneinanderstehenden) Tatbeständen des Art. 3 Brüssel IIb vergebens nach einem die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründenden Absatz. Denn sie knüpfen sämtlich an den gewöhnlichen Aufenthalt oder eine gemeinsame Staatsbürgerschaft an.
Dennoch besteht eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch für die Scheidung einer britisch-deutschen Ehe, wenn die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt im VK haben. Dies ergibt sich aus der Restzuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 Brüssel IIb: Für den Fall, dass aus den Art. 3–5 Brüssel IIb keine internationale Zuständigkeit folgt, eröffnet Art. 6 Abs. 1 für die Zuständigkeitsbestimmung den Rückgriff in das nationale Recht jedes Mitgliedstaates.
Für das deutsche Recht ist dies ein Verweis auf § 98 Abs. 1 FamFG. Nach dessen Nr. 1 sind deutsche Gerichte für „Ehesachen“ (also Ehescheidung, Eheaufhebung und Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe, § 121 FamFG) zuständig, wenn ein Ehegatte Deutscher ist oder bei der Eheschließung war.
Hat ein deutscher Staatsangehöriger also seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Nicht-EU-Ausland, so kann er sich über Art. 6 Abs. 1 Brüssel IIb i.V.m. § 98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG jedenfalls in Deutschland scheiden lassen. In der Tat ist dies – wegen der ansonsten umfassenden Regelung in Art. 3 Brüssel IIb – die einzige Konstellation, in der noch ein Restanwendungsbereich des § 98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG besteht.
Beraterhinweis
Zieht der deutsche Ehegatte nach Deutschland und begründet dort für mindestens sechs Monate seinen gewöhnlichen Aufenthalt, ergibt sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 3 lit. a vi Brüssel IIb. Zieht der britische Ehegatte nach Deutschland und begründet dort für mindestens ein Jahr seinen gewöhnlichen Aufenthalt, ergibt sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus...
