Otto Schmidt Verlag

BGH 3.7.2013, XII ZB 220/12

Ausbildungsunterhalt für eine Erstausbildung auch nach dreijähriger Verzögerung durch Praktika und Aushilfstätigkeiten möglich

Der Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung ist vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt und bedingt, dass das Kind die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener Zeit beendet. Dieser Obliegenheit kann das Kind auch nach dreijähriger Verzögerung der Aufnahme einer Erstausbildung infolge zwischenzeitlich geleisteter Praktika und ungelernter Tätigkeiten noch genügen.

Der Sachverhalt:
Die 1989 geborene Antragstellerin lebte nach der Trennung ihrer Eltern im Jahr 1997 zunächst im Haushalt des Vaters (Antragsgegner) in den Niederlanden, bevor sie 2003 zu ihrer Mutter nach Deutschland wechselte. Dort erwarb sie 2007 die mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 3,6.

Anschließend trat sie als ungelernte Kraft in verschiedene Beschäftigungsverhältnisse ein und leistete Praktika zum Teil in der Erwartung, auf diese Weise Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu erhalten. Dadurch deckte sie ihren Unterhaltsbedarf in der Zeit von Juli 2007 bis Juli 2010 selbst ab. Im August 2010 begann sie eine Ausbildung als Fleischereifachverkäuferin. Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner rückständigen Ausbildungsunterhalt ab September 2010 und laufenden Unterhalt.

Das AG - Familiengericht - gab der Klage statt und verpflichtete den Antragsgegner, rückständigen Ausbildungsunterhalt ab September 2010 und laufenden Unterhalt i.H.v. mtl. rd. 220 € zu zahlen. Das OLG wies die Beschwerde des Antragsgegners zurück. Seine Rechtsbeschwerde blieb vor dem BGH ebenfalls ohne Erfolg.

Die Gründe:
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist der aus §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB folgende Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung der Eltern auf Ermöglichung einer Berufsausbildung steht auf Seiten des Kindes die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden.

Verletzt das Kind nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Insoweit kann auch eine dreijährige Verzögerung der Aufnahme einer Erstausbildung infolge zwischenzeitlich geleisteter Praktika und ungelernter Tätigkeiten noch der Obliegenheit des Kindes entsprechen, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen.

Bewerber mit schwachem Schulabgangszeugnis sind verstärkt darauf angewiesen, durch Motivation und Interesse an dem Berufsbild zu überzeugen. Dies kann auch durch vorgeschaltete Berufsorientierungspraktika oder mittels eines Einstiegs über eine (zunächst) ungelernte Aushilfstätigkeit gelingen. Die Aufnahme solcher vorgelagerter Beschäftigungsverhältnisse bedeutet daher jedenfalls dann keine nachhaltige Obliegenheitsverletzung, wenn sie in dem Bemühen um das Erlangen eines Ausbildungsplatzes geschieht.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.07.2013 11:20
Quelle: BGH PM Nr. 109 vom 3.7.2013

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