Otto Schmidt Verlag

BFH 15.4.2015, VI R 5/14

Außergewöhnliche Belastung durch Unterhaltszahlungen - Erwerbsobliegenheit bei im Ausland lebenden Angehörigen

Das jederzeitige Bereitstehen für einen eventuellen Pflegeeinsatz bei behinderten Angehörigen (sog. "Pflege auf Abruf") stellt keinen besonderer Umstand dar, der die generelle Erwerbsobliegenheit volljähriger Personen entfallen lässt. Steuerpflichtige müssen grundsätzlich nachweisen, dass sich die unterhaltene Person um eine Beschäftigung bemüht hat, ansonsten kommt eine Schätzung der (fiktiven) Einkünfte in Betracht.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte im Streitjahr 2008 ihre allein in Russland lebende 60-jährige Mutter, die seit Vollendung ihres 55. Lebensjahres eine Altersrente bezieht, mit 2.497 € unterstützt. Der Betrag setzte sich aus drei Bargeldübergaben sowie aus Aufwendungen der Klägerin für Unterbringung und Verpflegung der Mutter während eines Besuchs und aus Kosten für eine Krankenversicherung der Mutter zusammen. Diese wiederum unterstützte im Streitjahr ihre eigene, 82-jährige, verwitwete Mutter, die Großmutter der Klägerin. Diese lebte allein in der Ukraine und benötigte seit einem 2007 erlittenen Schlaganfall eine lebenslange Pflege.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte die Klägerin den Abzug von insgesamt 2.685 € als Unterhaltszahlungen nach § 33a Abs. 1 EStG. Das Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Unterhaltszahlungen allerdings nicht, da im Ausland lebende Personen im erwerbsfähigen Alter bis 65 Jahre grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit treffe. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage im Wesentlichen statt. Auf die Revision des Finanzamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Gründe:
Das FG hatte zu Unrecht entschieden, dass ein jederzeitiges Bereitstehen für einen eventuellen Pflegeeinsatz bei behinderten Angehörigen ("Pflege auf Abruf") einen besonderen Umstand darstellt, der die generelle Erwerbsobliegenheit volljähriger Personen entfallen lässt.

Eine Person im arbeitsfähigen Alter, die die zum Bestreiten des Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Quellen, insbesondere ihre Arbeitskraft, nicht ausschöpft, ist grundsätzlich nicht unterstützungsbedürftig. Die Regelaltersgrenze richtet sich dabei nach den Vorschriften § 35 S. 2 SGB VI i.V.m. § 235 Abs. 2 SGB VI. So liegt etwa die Regelaltersgrenze für eine 1948 geborene Person nach §§ 35, 235 Abs. 2 S. 2 SGB VI bei 65 Jahren und zwei Monaten. Für die Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit ist grundsätzlich die Zeit aufzubieten, die ein Erwerbstätiger für seinen Beruf aufwendet. Bei lang anhaltender Arbeitslosigkeit ist auch ein Orts- bzw. Berufswechsel zumutbar.

Diese Grundsätze gelten auch für Unterhaltszahlungen an nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen, da nach § 33a Abs. 1 S. 5 Hs. 2 EStG für die Frage der gesetzlichen Unterhaltspflicht inländische Maßstäbe heranzuziehen sind. Die Beschränkung der steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen auf die Fälle, in denen Unterhaltspflichten erfüllt werden, die "inländischen Maßstäben" entsprechen, ist insbesondere aus Gründen der Praktikabilität und Missbrauchsabwehr gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

Im Gegensatz zu einer Krankheit, Behinderung oder Arbeitslosigkeit trotz ordnungsgemäßer Bemühungen ist die "Pflege auf Abruf" ein Umstand, der nicht unmittelbar in der unterhaltenen Person begründet ist, sondern die Situation eines Dritten oder Drittinteressen betrifft. Zudem gelten bezüglich der Erwerbsobliegenheit beim Verwandtenunterhalt grundsätzlich strenge Anforderungen. Von Zivilgerichten wird eine Erwerbsobliegenheit für eine ihr minderjähriges Kind betreuende Mutter in Bezug auf einen möglichen Verwandtenunterhalt, für Bezieher einer Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente und für eine erwerbslose 60-Jährige bejaht. Somit kann nur in Ausnahmefällen von einem Entfallen der Erwerbsobliegenheit ausgegangen werden. Zwar kann Arbeitslosigkeit eine Bedürftigkeit begründen, wenn eine Beschäftigung trotz ordnungsgemäßer Bemühungen nicht gefunden werden kann. Die Annahme einer fehlenden Beschäftigungschance setzt jedoch die substantiierte Darlegung voraus, dass und wie sich die unterhaltene Person um eine Beschäftigung bemüht hat. Dies muss im weiteren Verfahren noch geprüft werden.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.10.2015 11:17
Quelle: BFH online

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