Otto Schmidt Verlag

BGH v. 9.7.2020 - IX ZB 38/19

Kindergeld stellt kein Einkommen i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO dar

Kindergeld stellt kein Einkommen i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO dar. Das gilt auch dann, wenn das Kind erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist. Das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht kann im Rahmen der Berechnung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Person zusätzliche Bedarfe, insbesondere den für Unterkunft und Heizung, berücksichtigen.

Der Sachverhalt:
Über das Vermögen der Schuldnerin war am 20.12.2018 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter ernannt worden. Die Schuldnerin lebt seit dem 1.2.2018 von ihrem Ehemann getrennt. Sie bewohnt zusammen mit ihren beiden noch schulpflichtigen Kindern eine 168 qm große Wohnung zu einer monatlichen Warmmiete von 1.150 €. Die Schuldnerin hat ein monatliches Nettoeinkommen von 1.330 €. Der Kindesvater zahlt für die Kinder monatlich jeweils 364 € Unterhalt. Weiter erfolgen monatliche Kinder-geldzahlungen in gesetzlicher Höhe.

Am 18.1.2019 hat der Insolvenzverwalter beantragt, das Insolvenzgericht möge anordnen, dass die beiden Kinder bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens der Schuldnerin gem. § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 InsO, § 850c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt bleiben. Er war der Ansicht, dass das ausgezahlte Kindergeld als Einkommen der Kinder zu werten und der Schuldnerin und den beiden Kindern aus sozialhilferechtlichen Gründen lediglich eine 80 qm große Wohnung zuzubilligen sei.

Das Insolvenzgericht hat angeordnet, dass die beiden Kinder nicht als unterhaltsberechtigte Personen zu zählen seien. Auf die Beschwerde der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Insolvenzgerichts unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert und angeordnet, dass bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens der Schuldnerin der unterhaltsberechtigte Sohn zu 70 %v.H. und die unterhaltsberechtigte Tochter zu 50 %. unberücksichtigt bleiben. Den weitergehenden Antrag des Insolvenzverwalters hat es zurückgewiesen.

Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Insolvenzverwalters hat der BGH den Beschluss aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Gründe:
Das Beschwerdegericht hat die Einkünfte der unterhaltsberechtigten Kinder nur teilweise richtig berechnet. Zwar hat es rechtsfehlerfrei die zu berücksichtigenden Einkünfte der unterhaltsberechtigten Tochter bestimmt. Denn Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, sind als eigene Einkünfte i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 19.12.2019, IX ZB 83/18). Das Kindergeld stellt dagegen nach gefestigter BGH-Rechtsprechung kein Einkommen der unterhaltsberechtigten Kinder i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO dar. Es dient dem Ausgleich der aus dem Familienunterhalt folgenden Belastungen. Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass für Kinder des Schuldners als zweite und weitere Unterhaltsberechtigte regelmäßig Kindergeld gezahlt wird, bereits bei der Bemessung des pauschalierten pfändungsfreien Betrages in § 850c Abs. 1 ZPO Rechnung getragen.

Abweichend von dieser Rechtsprechung hat das Beschwerdegericht die Kindergeldzahlungen im Verhältnis zum Sohn als dessen Einkünfte berücksichtigt, weil in dem Freibetrag für die erste unterhaltsberechtigte Person die Transferleistung des staatlichen Kindergeldes nicht berücksichtigt sei. Mit dieser Ansicht hat es sich jedoch in Widerspruch zu der BGH-Entscheidung vom 19.5.2004, IXa ZB 322/03 gesetzt. In dieser Entscheidung ging es allerdings nicht um die Berücksichtigung von Kindergeld als eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten, sondern um die Frage, ob dann, wenn ein unterhaltsberechtigtes Kind des Schuldners erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist, für dieses der erhöhte Freibetrag der ersten Stufe oder der verminderte Freibetrag der zweiten Stufe maßgeblich ist. Der BGH hat die Frage dahingehend beantwortet, für das Kind richte sich der Freibetrag nach der ersten Stufe. Daran wird festgehalten.

Der Gesetzgeber ist bei Festlegung der pfändungsfreien Beträge in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO nur davon ausgegangen, dass im allgemeinen die Kosten für die Wohnung höher liegen, wenn im eigenen Haushalt des Schuldners weitere unterhaltsberechtigte Personen leben, wobei diesem Haushalt neben dem Ehegatten regelmäßig Kinder angehören, für die dem Haushaltsvorstand Anspruch auf Kindergeld in unterschiedlicher Höhe zusteht. Damit wird nicht zugleich zum Ausdruck gebracht, dass davon abweichende Lebensumstände des Schuldners oder des betreffenden Unterhaltsberechtigten über die Voraussetzungen des § 850c Abs. 4 ZPO hinaus eine anderweitige Festsetzung des Freibetrages rechtfertigen. Dann aber verbietet es sich, das Kindergeld nach § 850c Abs. 4 ZPO als eigenes Einkommen des Kindes anzusehen, wenn dieses die erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist. Ansonsten käme man immer, wenn auch mit einer anderen Begründung und über § 850c Abs. 4 ZPO, zu dem im Beschluss vom 19.5.2004 abgelehnten Ergebnis und berücksichtigte die Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, nur mit dem verminderten Freibetrag der zweiten bis fünften Stufe.

Letztlich wies auch die Berechnung des eigenen Bedarfs der unterhaltsberechtigten Kinder Rechtsfehler auf. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist der prozentuale Zuschlag nicht aus dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II zuzüglich der zusätzlichen individuellen Bedarfe zu errechnen, sondern allein aus dem Regelbedarf nach § 20 SGB II, §§ 27a, 28 SGB XII. Denn der Abstand zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum wird hinreichend durch den Zuschlag auf den Regelbedarf gewahrt. Die zusätzlichen Bedarfe decken zudem zumindest teilweise die tatsächlich anfallenden Aufwendungen, sofern angemessen und erforderlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen, Schülerbeförderung, gemeinschaftliche Mittagsverpflegung). Auch insoweit ist ein Zuschlag nicht erforderlich.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.08.2020 13:37
Quelle: BGH online

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