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Die Abgrenzung zwischen familienrechtlichem Ausgleichsanspruch und dem Anspruch auf rückständigen Kindesunterhalt - zugleich Anmerkung zu BGH v. 15.12.2021 - XII ZB 557/20 (Maaß, FamRB 2022, 455)

Mit Beschluss v. 15.12.2021 hat sich der BGH zu einer Reihe unterhaltsrechtlicher Fragen geäußert (BGH v. 15.12.2021 – XII ZB 557/20, FamRZ 2022, 434 m. Anm. Witt = FamRB 2022,135 [M. Schneider]). Dabei hat er auch klargestellt, dass familienrechtlicher Ausgleichsanspruch und Anspruch auf Kindesunterhalt in einem Alternativverhältnis stehen – nur, wenn für den betreffenden Zeitraum ein Anspruch auf Kindesunterhalt nicht mehr besteht, kann der betreuende Elternteil familienrechtlichen Ausgleich verlangen. Dies wirft die praktisch relevante Frage auf, ab wann der dem Kind zustehende Unterhaltsanspruch durch den familienrechtlichen Ausgleichanspruch eines Elternteils ersetzt wird, ab wann also ein Elternteil in eigenem Namen einen eigenen Anspruch durchsetzen muss und kann. Das vom BGH herangezogene Kriterium der „Erfüllung“ des Barunterhaltsanspruchs durch den betreuenden Elternteil erscheint insofern ungeeignet; maßgeblich ist vielmehr der Zweckfortfall des Unterhaltsanspruchs, den § 1607 Abs. 2 BGB nur für den Fall der erschwerten Durchsetzbarkeit regelt.

1. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch
2. Alternativverhältnis zwischen familienrechtlichem Ausgleichsanspruch und Anspruch auf rückständigen Unterhalt
3. Entstehung des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs

a) Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs
b) Versorgung als „Erfüllung“ und rückständiger Unterhalt
4. Die Wertung des § 1607 Abs. 2 BGB
a) Erschwerte Rechtsverfolgung als Voraussetzung des Anspruchsübergangs
b) Zweckerreichung als Voraussetzung des Anspruchsübergangs
5. Zweckstörung als Voraussetzung des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs
6. Ergebnis



1. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch
Erbringt ein Elternteil Unterhalt für das Kind, obwohl der andere vorrangig unterhaltspflichtig gewesen wäre, so kann er Erstattung vom Pflichtigen verlangen. Dafür steht nach h.M. der familienrechtliche Ausgleichanspruch zur Verfügung, der auf der gemeinsamen Unterhaltspflicht beider Elternteile beruht und dazu dient, die Unterhaltslast dem jeweiligen Leistungsvermögen entsprechend gerecht unter ihnen zu verteilen. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch (der darüber hinaus auch dem Ausgleich des Kindergelds dienen kann, soweit das Kindergeld nicht bei der Berechnung des Kindesunterhalts berücksichtigt worden ist) setzt in dieser Konstellation neben der Zahlung des vom Pflichtigen geschuldeten Unterhalts auch die Absicht des Ausgleichsberechtigten voraus, Ersatz für seine Unterhaltsleistungen zu verlangen; zudem gilt § 1613 Abs. 1 BGB auch für den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch. Der Höhe nach soll der Ausgleichsanspruch auf die vom betreuenden Elternteil erbrachten Leistungen begrenzt sein, wobei jedenfalls Aufwendungen in Höhe des Mindestunterhalts vermutet werden. Soweit eine rechtskräftige Entscheidung über den Kindesunterhalt vorliegt, ist ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch ausgeschlossen.

Praktische Bedeutung hat der familienrechtliche Ausgleichsanspruch – soweit es nicht um den Ausgleich des Kindergelds unter den Eltern geht – insbesondere dann, wenn das minderjährige Kind bei bestehenden Unterhaltsrückständen in den Haushalt des zuvor in Anspruch genommenen Elternteils wechselt oder vor Durchsetzung des Anspruchs auf rückständigen Unterhalt volljährig wird. Denn dann verliert der zuvor betreuende Elternteil die Vertretungsmacht zur Durchsetzung des Unterhalts, so dass die vorher erbrachte Versorgung des Kindes mit Naturalleistungen entschädigungslos bliebe, wenn nicht der familienrechtliche Ausgleichsanspruch hier einen angemessen Ausgleich ermöglichte. Problematisch ist allerdings das Verhältnis zwischen dem familienrechtlichen Ausgleichsanspruch, der dem zuvor betreuenden Elternteil zusteht, und dem eigenen Anspruch des Kindes auf rückständigen Unterhalt: Kann der betreuende Elternteil wählen, ob er rückständigen Unterhalt in eigenem Namen als Ausgleichsanspruch oder aber rückständigen Kindesunterhalt im Namen des Kindes begehrt?

2. Alternativverhältnis zwischen familienrechtlichem Ausgleichsanspruch und Anspruch auf rückständigen Unterhalt
Mit Beschluss vom 15.12.2021 hat der BGH nunmehr klargestellt, dass familienrechtlicher Ausgleichsanspruch und Anspruch auf rückständigen Kindesunterhalt nicht nebeneinander bestehen können, sondern einander ausschließen. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch setze voraus, dass ein Elternteil für den Unterhaltsanspruch des Kindes aufgekommen sei und dessen Unterhaltsanspruch so erfüllt habe; sei dies nicht der Fall, so bestehe (nur) der Anspruch auf Kindesunterhalt fort. Damit erteilt der BGH der Annahme eine Absage, Kind und betreuender Elternteil als Gläubiger des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs seien Gesamtgläubiger i.S.d. § 432 BGB, so dass jeder von beiden wahlweise den Anspruch durchsetzen könne und die Leistung an einen von ihnen beide Ansprüche erlöschen ließe.

Angesichts dieses Alternativverhältnisses ist es in der Praxis von großer Bedeutung, wann der Unterhaltsanspruch des Kindes endet und ein etwaiger Antrag auf rückständigen Unterhalt nicht mehr im Namen des Kindes, sondern nur noch in eigenem Namen vom betreuenden Elternteil erfolgreich gestellt werden kann: Geht das Gericht davon aus, es bestehe ein Anspruch auf familienrechtlichen Ausgleich, so ist ein im Namen des Kindes gestellter Antrag mangels Aktivlegitimation zwingend als unbegründet abzuweisen. Gleiches gilt, umgekehrt, für einen Antrag des betreuenden Elternteils, wenn das Gericht von einem fortbestehenden Unterhaltsanspruch ausgeht. Wird das Kind volljährig, so kann es daher rückständigen Unterhalt aus der Zeit der Minderjährigkeit nur noch im eigenen Namen durchsetzen, wenn der Unterhaltsanspruch nicht durch den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch ersetzt ist. Eine Wahlmöglichkeit, ob der Unterhalt vom zuvor betreuenden Elternteil oder vom Kind selbst verlangt werden kann, besteht nicht.

3. Entstehung des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs
Angesichts des bestehenden Alternativverhältnisses zwischen Kindesunterhalt und familienrechtlichem Ausgleich bedarf der familienrechtliche Ausgleichsanspruch daher einer Tatbestandsvoraussetzung, die den Fortbestand des Anspruchs auf rückständigen Kindesunterhalt ausschließt. Der BGH knüpft den Übergang vom Anspruch des Kindes auf rückständigen Unterhalt zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs des im maßgeblichen Zeitraum betreuenden Elternteils an das Kriterium der Erfüllung: Der betreuende Elternteil hat das Kind im entsprechenden Zeitraum durch Naturalleistungen versorgt und so den Unterhaltsanspruch erfüllt. Dadurch bringt er den Anspruch auf Kindesunterhalt zum Erlöschen und erwirbt den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch. Es erscheint in der Tat verlockend, die Erfüllung als maßgebliche Voraussetzung des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs anzusehen, führt doch die Erfüllung nach § 362 BGB dazu, dass der vorherige Anspruch auf Kindesunterhalt entfällt und dadurch wieder Raum für den dann eingreifenden Anspruch des Elternteils auf familienrechtlichen Ausgleich entsteht. Voraussetzung ist aber, dass bei nicht gezahltem Barunterhalt der betreuende Elternteil den Anspruch überhaupt mit Wirkung für und gegen das Kind erfüllen kann. Daran fehlt es.

a) Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs
Die Erfüllung eines Anspruchs, die den Anspruch erlöschen lässt, setzt bereits nach dem Wortlaut des § 362 Abs. 1 BGB voraus, dass die geschuldete Leistung tatsächlich bewirkt wird. Dies ist dann der Fall, wenn der Schuldner nicht nur...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.11.2022 17:03
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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