Otto Schmidt Verlag

Kurzbesprechung

Trennungsunterhalt durch Naturalleistungen

Die auf einem entgeltlichen Rechtsverhältnis beruhende Überlassung einer Wohnung an den geschiedenen oder dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG. Dagegen handelt es sich bei einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung um Naturalunterhalt, der in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG in Höhe der ortsüblichen Miete als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG berücksichtigt werden kann. Die ortsübliche Miete ist auch dann anzusetzen, wenn die Parteien unterhaltsrechtlich einen betragsmäßig geringeren Wohnvorteil vereinbart haben.

BFH v. 29. 6. 2022 - X R 33/20

EStG § 10 Abs 1a Nr. 1
BewG § 15 Abs 2
AO § 175 Abs 1 S 1 Nr. 2
FGO § 118 Abs 2
BGB § 1361


Nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG zählen zu den Sonderausgaben die Aufwendungen für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt, und zwar bis zu 13.805 € im Kalenderjahr. Der Empfänger hat jene Leistungen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1a EStG zu versteuern (sog. begrenztes Realsplitting).

Das für den Abzug von Sonderausgaben bestehende Erfordernis des Vorliegens von "Aufwendungen" setzt voraus, dass dem Steuerpflichtigen Ausgaben in Geld oder Geldeswert entstanden und bei ihm abgeflossen sind. Entgangene Einnahmen sind grundsätzlich keine Aufwendungen. Das zentrale Merkmal der "Unterhaltsleistungen" in § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG entspricht dem in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG verwendeten Begriff "Aufwendungen für den Unterhalt", wobei die Aufwendungen für Zwecke des Unterhalts gemacht worden sein müssen. Danach sind Unterhaltsleistungen die typischen Aufwendungen zur Bestreitung der Lebensführung, z.B. für Ernährung, Kleidung oder Wohnung. Der Unterhalt kann in Geld oder geldwerten Sachleistungen erbracht werden.

Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung stellt eine Naturalunterhaltsleistung dar, die für Zwecke des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen ist. Wird die Wohnung auf Grundlage einer Unterhaltsvereinbarung zwischen geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten an den unterhaltsberechtigten Ehegatten überlassen, ist geklärt, dass der unterhaltsverpflichtete Ehegatte mangels eines Entgelts insoweit keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Auf der anderen Seite stellt die entgeltliche ‑ d.h. auf einem Mietvertrag beruhende ‑ Überlassung einer Immobilie an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar und kann somit zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung führen, selbst wenn die Miete mit dem geschuldeten Barunterhalt verrechnet wird.

Der sachliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG ist daher insoweit nicht eröffnet, als die Nutzungsüberlassung Gegenstand eines entgeltlichen Rechtsverhältnisses ist.

Im Streitfall hatte das FG die getroffene Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung dahingehend gewürdigt, dass der Steuerpflichtige dessen Miteigentumsanteil an der ehemaligen Familienwohnung "mietvertragsähnlich" gegen ein monatliches Entgelt von 400 € überlassen und deshalb keine Naturalunterhaltsleistung vorgelegen habe. Der BFH hat jedoch keine Zweifel, dass die Nutzungsüberlassung des Miteigentumsanteils an der ehemaligen Familienwohnung unterhalts- und steuerrechtlich als Naturalunterhaltsleistung des Steuerpflichtigen anzusehen ist.

Das FG hatte aus dem Umstand, dass die Immobilie nicht nur der dauernd getrennt lebenden Ehefrau, sondern auch den beiden gemeinsamen Kindern zur Nutzung überlassen worden sei, gefolgert, dass keine höheren als die bislang berücksichtigten Unterhaltsaufwendungen als Sonderausgaben abziehbar seien. Diese Begründung hält jedoch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Richtig ist insoweit nur, dass der Unterhaltsverpflichtete lediglich denjenigen Aufwand nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abziehen kann, der gegenüber dem geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu erbringen ist. Kindesunterhalt wird durch das Kindergeld bzw. die kindbedingten Freibeträge nach § 32 EStG berücksichtigt. Einheitlich geleisteter Unterhalt ist somit für steuerrechtliche Zwecke aufzuteilen.

Hierzu hat der BFH entschieden, dass derartige Unterhaltsleistungen im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG eben nicht nach Köpfen, sondern vielmehr nach zivilrechtlichen Grundsätzen aufzuteilen sind, wobei im Regelfall sowohl auf zivilrechtliche Unterhaltstitel als auch auf übereinstimmende Berechnungen der Familienrechtsanwälte zurückgegriffen werden kann.

Im Streitfall führten die Rechtsfehler des FG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz. Denn der für unterhaltsrechtliche Zwecke festgelegte Wohnvorteil bestimmt nicht zwingend dessen steuerrechtliche Bewertung, sodass ein höherer als der bisher anerkannte Sonderausgabenabzug für Unterhaltsleistungen in Betracht kommt. Wäre dies der Fall, lägen auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des Steuerpflichtigen nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO für das Streitjahr vor.

Im zweiten Rechtsgang muss das FG nun neben der Ermittlung der ortsüblichen Miete für die überlassene Immobilie insbesondere erwägen, ob und ‑ bejahendenfalls ‑ in welcher Höhe ein auf die beiden gemeinsamen Kinder entfallender Wohnvorteil bei der Beurteilung der nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abziehbaren Unterhaltsleistungen außer Betracht bleibt.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.12.2022 14:30
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite