Otto Schmidt Verlag

OLG Brandenburg v. 16.8.2022 - 12 U 30/22

Hinterbliebenengeld: 10.000 € als Richtschnur bei Tötung eines Angehörigen

Das Ausmaß der Trauer um einen geliebten Menschen ist nur schwer in Geldbeträgen zu beziffern und die dabei vorzunehmende Abwägung für den einzelnen Hinterbliebenen nur schwer nachzuvollziehen. Konkrete Vorgaben finden sich weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung. In der überwiegenden Rechtsprechung wird ein Betrag von 10.000 €, „der derzeit von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für sogenannte Schockschäden zugesprochen wird“, als Orientierungshilfe oder Richtschnur angesehen.

Der Sachverhalt:
Im Jahr 2020 war die seinerzeit 82 Jahre alte Mutter der Klägerin mit ihrem Pkw auf einer Bundesstraße unterwegs. Der Beklagte befuhr mit seinem Pkw die Bundesstraße im Gegenverkehr und stieß in der Fahrspur der Mutter der Klägerin mit deren Pkw frontal zusammen. In der Folge des Unfalls verstarb die Mutter der Klägerin.

Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten zahlte vorgerichtlich ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 5.500 €. Die Klägerin verlangte daraufhin die Zahlung eines weiteren Hinterbliebenengeldes i.H.v. mind. 6.000 € sowie die Erstattung ihr vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten. Sie war der Ansicht, schon die Ausgleichsfunktion rechtfertige ein erhöhtes Hinterbliebenengeld, wobei berücksichtigt werden müsse, dass sie als „Nesthäkchen“ ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Mutter verbunden habe. Im vorliegenden Fall gewinne die Genugtuungsfunktion zudem herausragende Bedeutung, weil ein Fall von besonders krassem Verschulden vorliege.

Das LG hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 2.000 € sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 157,80 € zu zahlen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Der Klägerin steht über den außergerichtlich von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten gezahlten Betrag von 5.500 € und den vom LG ausgeurteilten Betrag von weiteren 2.000 € kein weiterer Anspruch auf Hinterbliebenengeld aus §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 3 StVG, 844 Abs. 3 BGB zu.

Für das zugefügte seelische Leid ist eine „angemessene Entschädigung in Geld“ zu leisten. Konkrete Vorgaben finden sich weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung. Nach der Gesetzesbegründung soll Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes darin bestehen, die Hinterbliebenen in die Lage zu versetzen, ihre durch den Verlust eines besonders nahestehenden Menschen verursachte Trauer und das ihnen zugefügte seelische Leid zu lindern. Dabei hat der Gesetzgeber betont, dass eine Bewertung des verlorenen Lebens oder des in Geld nicht mehr messbaren Verlustes des besonders nahestehenden Menschen für den Hinterbliebenen nicht in die Bemessung einfließt. Für die damit eröffnete Bemessung der Anspruchshöhe, bei der § 287 ZPO anzuwenden ist, können die Höhe des Schmerzensgeldes bei Schockschäden und die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze eine gewisse Orientierung bieten.

In der überwiegenden Rechtsprechung wird der in der Begründung des Regierungsentwurfes genannte Betrag von 10.000 €, „der derzeit von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für sogenannte Schockschäden zugesprochen wird“, als Orientierungshilfe oder Richtschnur angesehen. Andererseits wird vertreten, dass aufgrund des Vorrangs des Anspruchs auf Ersatz eines Schockschadens das Hinterbliebenengeld in der Regel unter dem für sogenannte Schockschäden zuzuerkennenden Betrag liegen sollte, das Hinterbliebenengeld somit als „Minus“ zum Schmerzensgeld niedriger zu bemessen ist, weil es ansonsten zu Wertungswidersprüchen kommt. Gemessen an diesen Maßgaben hielt der Senat im Streitfall nach Abwägung sämtlicher Umstände mit dem LG ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 7.500 € für angemessen.

Der Senat ist sich bewusst, dass das Ausmaß der Trauer um einen geliebten Menschen nur schwer in Geldbeträgen zu beziffern und die dabei vorzunehmende Abwägung für den einzelnen Hinterbliebenen nur schwer nachzuvollziehen ist. Dennoch liegen im vorliegend zu beurteilenden Einzelfall Umstände vor, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, von dem als „Richtschnur“ genannten Durchschnittsbetrag von 10.000 € nach unten abzuweichen. Zum einen war zu berücksichtigen, dass die Mutter bereits 82 Jahre war. Zum anderen war die Klägerin zum Unfallzeitpunkt bereits 52 Jahre alt und hatte sich vom Elternhaus gelöst und ihre eigene Familie gegründet, so dass sich ihr Verlust – bei aller Tragik – angesichts des fortgeschrittenen Alters der Mutter weniger drastisch und einschneidend ausgewirkt hat als etwa bei minderjährigen oder auch volljährigen Kindern, die noch im elterlichen Haushalt leben. Der Umstand, dass die Klägerin die jüngste Tochter der Verstorbenen war, ist aus Sicht des Senats für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes ohne Bedeutung, da nicht anzunehmen ist, dass allein deswegen die Schwestern der Klägerin weniger um ihre Mutter trauern als die Klägerin selbst.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung
Schmerzensgeld für sog. Schockschaden des Vaters nach Unfalltod eines 11-jährigen Kindes
OLG Celle vom 24.08.2022 - 14 U 22/22
MDR 2022, 1408

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.12.2022 15:41
Quelle: Landesrecht Brandenburg

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