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Verbot der Doppelahndung bei Ordnungsmitteln im Familienrecht - zugleich Besprechung von BGH v. 21.4.2022 - I ZB 56/21 (Cirullies/Cirullies, FamRB 2023, 78)

Die im Wettbewerbsrecht angesiedelte Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH v. 21.4.2022 – I ZB 56/21mit Schwerpunkt auf dem Verbot der Doppelahndung im Ordnungsmittelrecht verdient Beachtung auch im Familienrecht, besonders im Gewaltschutzrecht, aber auch bei Ordnungsmitteln im Kindschaftsrecht (§ 89 FamFG).

I. Vollstreckung von Unterlassungstiteln
II. Ausgangsfall
III. Abgrenzung Doppelbestrafung – Doppelahndung
IV. Probleme der Doppelahndung im Familienrecht

1. Eilrechtsschutz und Hauptsacheverfahren
2. Zuwiderhandlungen als „natürliche Handlungseinheit“
3. Doppelzweck der Ordnungsmittel
4. Ordnungsmittel und Kriminalstrafe
5. Ordnungsmittel und Vertragsstrafe
V. Fazit


I. Vollstreckung von Unterlassungstiteln

Der vorliegende Fall ist im Wettbewerbsrecht angesiedelt, in dem Unterlassungspflichten eine wesentliche Rolle spielen. Dort ergehen häufig Unterlassungstitel, die gem. § 890 ZPO durch die Festsetzung von Ordnungsmitteln zu vollstrecken sind. Die hierzu bestehende ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung verdient Beachtung auch im Familienrecht, besonders im Gewaltschutzrecht, aber auch bei Ordnungsmitteln im Kindschaftsrecht (§ 89 FamFG). Dies gilt gleichermaßen für die zu besprechende Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH, bei der zwar der Schwerpunkt auf dem Verbot der Doppelahndung im Ordnungsmittelrecht liegt, die jedoch auch weitere vollstreckungsrechtliche Fragestellungen erörtert.

II. Ausgangsfall
Der Schuldnerin war durch einstweilige Verfügung vom 22.9.2015 untersagt worden, im geschäftlichen Verkehr auf den Etiketten der Verpackung für ein Antitranspirant mit der Aussage „48h“ zu werben, wodurch die Wirksamkeit des Produkts für diesen Zeitraum versprochen wurde. Im nachfolgenden Hauptsacheverfahren erging ein entsprechendes Verbot durch Urteil des LG vom 19.6.2018, rechtskräftig seit 9.1.2020. Da das betroffene Produkt mit der verbotenen Aufschrift immer noch in verschiedenen Internetshops erhältlich war, beantragte die Gläubigerin am 30.4.2020 die Verhängung eines Ordnungsmittels auf der Grundlage des Hauptsacheurteils. Am 29.5.2020 stellte sie, gestützt auf die zuvor ergangene einstweilige Verfügung, einen zusätzlichen Ordnungsmittelantrag, den sie u.a. damit begründete, die Schuldnerin habe es verabsäumt, bereits vor dem Erlass des Hauptsachetitels die beanstandete Werbung zu unterbinden. Das LG Hamburg setzte bezüglich beider Vollstreckungstitel jeweils ein Ordnungsgeld von 10.000 € fest. Das Hans. OLG Hamburg halbierte den Betrag bezüglich der Hauptsache und wies den Antrag im Verfahren der einstweiligen Verfügung vollständig zurück, da insoweit ein Verstoß gegen das Doppelahndungsverbot vorliege und der Ordnungsmittelantrag zudem rechtsmissbräuchlich sei. Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen die Ablehnung ihres zweiten Antrags war beim BGH erfolgreich und hat zur Zurückverweisung geführt.

Nach Ansicht des I. Zivilsenats verbietet das außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot eine erneute Verhängung von Ordnungsmitteln nur dann, wenn der Gegenstand einer späteren Festsetzung mit dem einer früheren nach Anlass, Ziel und Zweck der beanstandeten Maßnahme identisch ist. Dabei sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Schuldnerin mit ihrer Handlung einen fortdauernden Störungszustand geschaffen habe. In solchen Fällen sei der die Handlung verbietende Unterlassungstitel regelmäßig dahin auszulegen, dass er außer zur Unterlassung derartiger Handlungen auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichte. Vor diesem Hintergrund stelle sich der Inhalt der Pflichten aus Verfügung und Urteil hier divergierend dar: Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes habe es – um eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung zu vermeiden – lediglich einer Aufforderung der Schuldnerin an die Abnehmer zum vorübergehenden Verkaufsstopp sowie einer Beendigung der Bewerbung bedurft; hingegen sei nach Rechtskraft der Hauptsache auch ein Rückruf der verbotenen Waren erforderlich gewesen. Insofern habe es sich um unterschiedliche Beseitigungspflichten gehandelt, die im Fall der Nichtbeachtung auch eine gesonderte Ahndung ermöglichten.

Gleichzeitig weist das Gericht auf die Doppelfunktion des Ordnungsmittels hin: Dessen Festsetzung sei auch dann zulässig, wenn es nicht mehr auf den Willen des Schuldners zur Erfüllung seiner Pflichten einwirken könne, sondern nur noch eine Sanktionsfunktion habe.

Anlässlich der Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen stellt das Gericht ferner heraus, dass die einstweilige Verfügung – entsprechend der Natur des Eilrechtsschutzes – bereits mit ihrem Erlass und damit zur Zeit der geltend gemachten Zuwiderhandlung unbedingt vollstreckbar gewesen sei; hierzu bedürfe es nicht eines besonderen Ausspruchs in der Entscheidung.

III. Abgrenzung Doppelbestrafung – Doppelahndung
Zwar muss – wie der I. Zivilsenat betont – wegen der strafähnlichen Wirkung eines Ordnungsmittels für den Betroffenen die Ahndung grundlegenden strafrechtlichen Prinzipien genügen (etwa Schuldprinzip und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Allerdings komme eine direkte Anwendung des in Art. 103 Abs. 3 GG verankerten Doppelbestrafungsverbots („ne bis in idem“) nicht in Betracht, weil es bei der Verhängung von Ordnungsmitteln nicht um die Bestrafung derselben Tat „aufgrund der allgemeinen Strafgesetze“ gehe. Der Senat betont, die Festsetzung von Ordnungsmitteln unterscheide sich von der strafrechtlichen Ahndung dadurch, dass sie..
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.02.2023 09:15
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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