Otto Schmidt Verlag

BGH v. 25.1.2023 - IV ZB 7/22

Krankheit des Anwalts stellt im Hinblick auf beA keinen technischen Grund i.S.v. § 130d Satz 2 ZPO dar

Technische Gründe i.S.v. § 130d Satz 2 ZPO liegen nur bei einer Störung der für die Übermittlung erforderlichen technischen Einrichtungen vor, nicht dagegen bei in der Person des Einreichers liegenden Gründen (hier: Erkrankung). Nach ständiger BGH-Rechtsprechung muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass die zur Wahrung von Fristen erforderlichen Handlungen auch dann unternommen werden, wenn er unvorhergesehen ausfällt.

Der Sachverhalt:
Das Berufungsgericht hatte den Kläger am 7.1.2022 darauf hingewiesen, dass seine Berufung unzulässig sei, weil die Berufungsbegründung nicht in der seit dem 1.1.2022 vorgeschriebenen Form des § 130d ZPO eingegangen sei. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers noch am selben Tag vorgetragen, dass er am 4.1.2022 gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument zu übermitteln. Er sei am 1.1.2022 im Urlaub in Österreich erkrankt. Um eine Coronainfektion auszuschließen, habe er Antigen-Schnelltests durchgeführt, die wiederholt kein eindeutiges Ergebnis gezeigt hätten. Deshalb habe er am 3.1.2022 zu Hause einen PCR-Test durchführen lassen, dessen negatives Ergebnis ihm erst am 6.1.2022 vorgelegen habe.

Der Rechtsanwalt trug weiter vor, dass er die Berufungsbegründung am 3. und 4.1.2022 zu Hause gefertigt, ausgedruckt und unterschrieben habe. Eine elektronische Übermittlung sei ihm von dort nicht möglich gewesen, da die beA-Hardware und -Software an seinem Arbeitsplatz installiert seien. Das galt auch für das Faxgerät. Er habe die Berufungsbegründung deshalb am 4.1.2022 von einem Boten in sein Büro bringen und dort von einem Dritten an das Berufungsgericht faxen lassen. Er arbeite in Bürogemeinschaft mit einem anderen Rechtsanwalt, der wie er als Einzelanwalt ohne Büropersonal tätig sei. Es bestehe die Absprache, dass bei Abwesenheit des einen Rechtsanwalts der andere als Unterbevollmächtigter tätig werde. Er selbst habe am 2.1.2022 wieder im Büro sein wollen. Da sich der andere Rechtsanwalt im Anschluss daran seinerseits im Urlaub befunden habe, sei er am 4.1.2022 für ihn nicht erreichbar gewesen.

Das KG hat die Berufung unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Als bestimmender Schriftsatz eines Rechtsanwalts ist die Berufungsbegründung seit Inkrafttreten des § 130d Satz 1 ZPO am 1.1.2022 als elektronisches Dokument zu übermitteln. Lediglich dann, wenn eine Übermittlung des Schriftsatzes aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Technische Gründe i.S.v. § 130d Satz 2 ZPO liegen nur bei einer Störung der für die Übermittlung erforderlichen technischen Einrichtungen vor, nicht dagegen bei in der Person des Einreichers liegenden Gründen. Dass der Gesetzgeber abweichend davon mit dem Begriff der "technischen Gründe" auch Fälle erfassen wollte, in denen der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen - oder sonstigen in seiner Person liegenden - Gründen vorübergehend an der Bedienung der funktionsfähigen Technik gehindert ist, ist nicht ersichtlich

Der Kläger war auch nicht ohne Verschulden i.S.v. § 233 Satz 1 ZPO verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten; er muss sich insoweit das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Denn nach ständiger BGH-Rechtsprechung muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass die zur Wahrung von Fristen erforderlichen Handlungen auch dann unternommen werden, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Wird er unvorhergesehen krank, muss er deshalb konkret nur das unternehmen, was ihm dann noch möglich und zumutbar ist. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft und daher wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen.

Zwar mag sich die allgemeine Vorkehrung, dass der in Bürogemeinschaft mit ihm tätige Rechtsanwalt im Falle einer Verhinderung die Vertretung übernimmt, unvorhersehbar als nicht ausreichend erwiesen haben, weil sich der Vertreter seinerseits in der ersten Kalenderwoche 2022 im Urlaub befand. Daraus ergibt sich aber nicht, dass es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unmöglich und unzumutbar war, sich vor Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung auf die Suche nach einem anderen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu machen, um diesen mit der formgerechten Einreichung der am Nachmittag des 4.1.2022 fertiggestellten Berufungsbegründung oder - nach Einholung der Zustimmung der Beklagten zu einer weiteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - eines Fristverlängerungsantrags zu beauftragen. Angesichts des Auftretens von Symptomen bereits am 1.1.2022 und der Ungewissheit des Ergebnisses des am 3.1.2022 veranlassten PCR-Tests war der Prozessbevollmächtigte des Klägers verpflichtet, sich hierauf vorzubereiten, indem er dafür Sorge trug, dass für die Erledigung fristgebundener Arbeiten ein Vertreter eingeschaltet werden kann, zumal er wusste, dass der mit ihm in Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt nicht erreichbar war.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Ein Jahr beA-Pflicht
Klaus Bacher, MDR 2022, 1441

Kommentierung | ZPO
§ 130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Blog powered by Zöller: § 130d ZPO – Wohltat oder Fallgrube?
Zöller-Autor Prof. Dr. Reinhard Greger

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.02.2023 12:05
Quelle: BGH online

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