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Die Anerkennung von Ehescheidungen aus dem Iran in Deutschland - Ergebnisse einer Umfrage (Finger, FamRB 2023, 161)

Der Verfasser hat Ende 2021/Anfang 2022 die Landesjustizverwaltungen bzw. die Präsidialabteilungen der Oberlandesgerichte angeschrieben, § 107 Abs. 2 und 3 FamFG, um sich nach der dortigen „Anerkennungspraxis“ für Scheidungen aus dem Iran zu erkundigen. In diesem Beitrag wertet er die Umfrage aus und stellt ihre Ergebnisse vor.

I. Einleitung
1. §§ 107 ff. FamFG; bisher Art. 21 f. VO (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-VO), nun Art. 30 Abs. 1 VO Nr. 2019/1111 (Brüssel IIb-VO)
2. Scheidung ohne Gericht
3. Umfrage für die Anerkennung von iran. Ehescheidungen in Deutschland
II. Auswertung der Umfrage
1. Fragebogen – Antworten
2. Scheidung aus dem Iran, einverständliche Ehescheidung, Heimatstaatscheidung, Scheidung auf Antrag der Ehefrau, Verstoßensscheidung durch den Ehemann
a) Staatsangehörigkeit der Beteiligten; gewöhnlicher Aufenthaltsort; dt.-iran. Niederlassungsabk. und Schlussprotokoll Art. 8 Abs. 3
b) Scheidung im Einverständnis der Ehegatten
c) Heimatstaatscheidung
d) Scheidung auf Antrag der Ehefrau neben den bereits erwähnten §§ 1146 und 1147 iran. ZGB
e) Verstoßensscheidung durch den Ehemann


I. Einleitung

1. §§ 107 ff. FamFG; bisher Art. 21 f. VO (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel II a-VO), nun Art. 30 Abs. 1 VO Nr. 2019/1111 (Brüssel IIb-VO)

Ausl. Ehescheidungen haben bei uns die für sie vorgesehenen Wirkungen nur, wenn sie nach §§ 107 ff. FamFG förmlich anerkannt worden sind. Lediglich bei Heimatstaatscheidungen sieht § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG eine Ausnahme vor, denn sie werden als Voraussetzung in einem anderen Verfahren von den insoweit zuständigen Stellen selbst überprüft, wobei die Wirkungen beschränkt bleiben, während sonst bei der festgestellten bzw. vielleicht verweigerten Anerkennung Bindungen für andere Gerichte und Verwaltungsbehörden entstehen, § 107 Abs. 9 FamFG. Vorrangig sind allerdings die Regeln der europ. Gesetzgebung, bisher Art. 21 f. VO Nr. 2201/2003, nun Art. 30 Abs. 1 VO Nr. 2019/1111, beschränkt auf die EU-Staaten außer Dänemark mit opt-in für Irland und früher dem Vereinigten Königreich. Denn insoweit werden „die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen ... in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“, Art. 21 Abs. 1 VO Nr. 2201/2003 (nun Art. 30 Abs. 1 VO Nr. 2019/1111, vgl. auch Art. 65 ff. VO Nr. 2019/1111). Dabei kann die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts später nicht überprüft werden (ist „verboten“, Art. 24 VO Nr. 2201/2003, nun Art. 69 VO Nr. 2019/1111). Unterschiede beim anzuwendenden Recht sind ebenfalls unerheblich, Art. 25 VO Nr. 2201/2003, nun Art. 70 VO Nr. 2019/1111, etwa, wenn im Ursprungsstaat eine Ehescheidung (schon) zulässig ist, die Voraussetzungen für sie im Anerkennungsstaat aber (noch) fehlen. Schließlich darf „keinesfalls“ die Entscheidung in der Sache nachgeprüft werden, Art. 26 VO Nr. 2201/2003, jetzt Art. 71 VO Nr. 2019/1111. Anerkennungshindernisse legen Art. 38 VO Nr. 2019/1111 für die Ehescheidung und Art  39 VO Nr. 2019/1111 für die elterliche Verantwortung fest. Soweit die europ. Gesetzgebung reicht, sind nationale Vorschriften verdrängt.

Im Inland kann die Ehe nur durch ein Gericht geschieden werden, Art. 17 Abs. 3 EGBGB, § 1564 Abs. 1 Satz 1 BGB. Im Ausland und auch in einigen Staaten, die an der europ. Gesetzgebung teilnehmen, ist dagegen – in unserer Wertung – inzwischen manches anders, insbesondere in Italien, Frankreich und Spanien. Für ein Verfahren zur Ehescheidung, das bei uns betrieben wird, weil die Anerkennung scheitert, wird für unsere Anknüpfung dann Art. 17 Abs. 2 EGBGB n.F. Grundlage (IPR). Dabei wenden wir die Vorschriften der VO Nr. 1259/2010 „analog“ an, weil diese Anordnungen und Vorbehalte der inländische Gesetzgeber anbringen kann, ohne durch vorrangige Regelungen des Europarechts gehindert zu sein, doch mit manchen Abweichungen und Einschränkungen. Bei der Anerkennung ausl. Entscheidungen, die aus unserer Sicht als Privatscheidungen einzustufen sind, ist dagegen nach wie vor manches offen, auch wenn Art. 65 f. VO Nr. 2019/1111 inzwischen wesentliche Veränderungen im Rahmen der europ. Gesetzgebung gebracht hat, vgl. im Übrigen unter 2. Für Drittstaaten steht das Verfahren aus §§ 107 ff. FamFG bereit. Ist Scheidungsstatut aus unserer Sicht dt. Recht oder ist ein dt. Ehegatte beteiligt, sollen dem dt. oder in Deutschland lebenden Ehegatten stets die in Deutschland vorgesehenen Garantien erhalten bleiben, auf die sich die Beteiligten eben beziehen können. Im Übrigen scheidet die Anerkennung bei schweren verfahrensrechtlichen, dazu § 109 Abs. 1 FamFG, oder sachlichen Mängeln aus, inhaltlicher ordre public, Art. 6 EGBGB, insbesondere bei Grundrechtsverstößen, häufig Art. 3 Abs. 2 GG, Gleichberechtigung von Mann und Frau, also etwa bei der Verstoßensscheidung durch einseitige Erklärung durch den Ehemann wie sie in islamischen Rechtsordnungen durchgängig vorgesehen ist (auch im Iran, allerdings mit eigenen Abläufen). Wie sonst sind ausreichende Inlandsbezüge notwendig.

2. Scheidung ohne Gericht
Wie bereits kurz erwähnt, ist (auch) in einigen Mitgliedstaaten der europ. Gesetzgebung inzwischen die „Scheidung ohne Gericht“ vorgesehen. Nach Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung des KG zum BGH für eine italienische Scheidung durch den Zivilstandsbeamten, geregelt im G v. 10.11.2014 (Nr. 16), soll damit die „Anerkennung“ schon nach den Vorschriften der VO Nr. 2201/2003 zulässig sein, so hat das auch der BGH gesehen, dem der EuGH gefolgt ist, so dass die weiteren Folgerungen für die VO Nr. 2019/1111 naheliegen, insbesondere für Spanien, und die dort vorgesehene Ehescheidung durch einen Gerichtsbeamten (Rechtspfleger). Erst die VO (EU) Nr. 2019/1111 (Brüssel IIb) bringt (wohl) endgültige Klarheit, weil dort die „Anerkennung“ von Scheidungen ohne Gericht auch unter den Mitgliedstaaten der europ. Gesetzgebung nicht von vorneherein ausgeschlossen ist, dazu Art. 64 ff. VO Nr. 2019/1111, allerdings eben nur für Verfahren, die nach August 2022 eingeleitet sind, vgl. dazu Art. 105 dieser VO.

3. Umfrage für die Anerkennung von iran. Ehescheidungen in Deutschland
Ende 2021/Anfang 2022 habe ich mich bei Präsidialabteilungen des OLG bzw. Landesjustizverwaltungen, je nach Zuständigkeit nach § 107 Abs. 3 FamFG, mit aufgelisteten Fragen nach der praktischen Handhabung bei der Anerkennung von Scheidungen aus dem Iran erkundigt. Viele haben geantwortet, nach meiner Auffassung auch in ausreichender Zahl, wobei erhebliche Unterschiede für die Ergebnisse im Einzelnen deutlich geworden sind, die ich aber auch nicht anders erwartet habe. Dabei ist ein Gutachten aus dem Max-Planck-Institut (Yassari) Grundlage geworden, das aber nicht überall bekannt ist. Denn nun werden Scheidungen aus dem Iran nicht (mehr) durchgängig als „Privatscheidungen“ angesehen (und ihnen deshalb praktisch die Anerkennung verweigert), weil sie...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.04.2023 17:00
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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