Otto Schmidt Verlag

Aktuelle BGH-Rechtsprechung in Leitsätzen

Hier finden Sie die neuesten Entscheidungen aus der Rubrik "Aktuell" der anstehenden FamRB-Ausgabe, bevor sie von erfahrenen Praktikern für Sie in der Folge aufbereitet, mit Beraterhinweisen versehen und die Konsequenzen für Ihre Praxis aufgezeigt werden.


BGH, Beschl. v. 19.4.2023 – XII ZB 462/22
Erforderlichkeitsprüfung der Wahrnehmung durch einen Betreuer für jeden einzelnen Aufgabenbereich
a) Die Erforderlichkeit einer Betreuung kann sich nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Nach § 1815 Abs. 1 Satz 3 BGB darf ein Aufgabenbereich nur angeordnet werden, wenn und soweit dessen rechtliche Wahrnehmung durch einen Betreuer erforderlich ist (Fortführung BGH v. 30.6.2021 – XII ZB 73/21, FamRZ 2021, 1737 und BGH v. 21.10.2020 – XII ZB 153/20, FamRZ 2021, 385).
b) Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (Fortführung BGH v. 30.6.2021 – XII ZB 73/21, FamRZ 2021, 1737 und BGH v. 21.10.2020 – XII ZB 153/20, FamRZ 2021, 385).
c) Eine Anordnung zur Entscheidung über die Postangelegenheiten des Betroffenen nach § 1815 Abs. 2 Nr. 6 BGB ist nur zulässig, soweit die Befugnis erforderlich ist, um dem Betreuer die Erfüllung einer ihm ansonsten übertragenen Betreuungsaufgabe in der gebotenen Weise zu ermöglichen. Zudem setzt eine solche Anordnung regelmäßig voraus, dass sie erforderlich ist, um eine erhebliche Gefährdung oder Beeinträchtigung von wesentlichen Rechtsgütern des Betroffenen zu beseitigen. Beides muss durch konkrete tatrichterliche Feststellungen belegt werden (Fortführung BGH v. 21.10.2020 – XII ZB 153/20, FamRZ 2021, 385).


BGH, Beschl. v. 15.3.2023 – XII ZB 232/21
Wirksamkeit der Patientenverfügung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten
a) Eine Patientenverfügung eines gem. §§ 20, 63 StGB im Maßregelvollzug Untergebrachten steht einer zwangsweisen Behandlung gem. Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 des Bayerischen Maßregelvollzugsgesetzes (BayMRVG) nur dann gem. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 lit. b BayMRVG entgegen, wenn sie Regelungen zur Zwangsbehandlung beinhaltet und erkennen lässt, dass sie in der konkreten Behandlungssituation der geschlossenen Unterbringung Geltung beanspruchen soll (im Anschluss an BGH v. 8.2.2017 – XII ZB 604/15, BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 = FamRB 2017, 223 [Locher] und BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18, FamRZ 2019, 236 = FamRB 2019, 113 [Locher]). Daher ist zu prüfen, ob die in der Patientenverfügung in Bezug genommene Situation auch die etwaigen Konsequenzen einer ausbleibenden Behandlung, wie den Eintritt schwerster, gar irreversibler Schäden oder einer Chronifizierung des Krankheitsbildes mit den entsprechenden Folgen für die Fortdauer der freiheitsentziehenden Maßnahme, erfasst (im Anschluss an BVerfG v. BVerfGE 158, 131 = FamRZ 2021, 1564).
b) Gem. Art. 6 Abs. 3 Nr. 3 BayMRVG ist eine Zwangsbehandlung zulässig, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung abzuwenden. Der Umstand, dass von der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB untergebrachte Personen betroffen sind, führt zu keiner einschränkenden Auslegung des Gefahrenbegriffs.
c) Ob besondere Sicherungsmaßnahmen nach Art. 25 BayMRVG das gegenüber einer Zwangsbehandlung mildere Mittel i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayMRVG darstellen, ist aus der Sicht der betroffenen Person zu beantworten.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.06.2023 11:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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