BGH v. 27.3.2024 - XII ZB 291/23
Beschwerde gegen erstinstanzliche Entscheidung zur Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels
Wird gegen die erstinstanzliche Entscheidung zur Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels Beschwerde eingelegt, ist das Beschwerdegericht nicht daran gehindert, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 HUVÜ 1973 und Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen (im Anschluss an BGH v. 24.8.2022 - XII ZB 268/19, FamRZ 2022, 1719). Im Anwendungsbereich des HUÜ 2007 kann der Titelschuldner mit der Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Kindesunterhaltstitels nicht nach § 59 a AUG geltend machen, dass der antragstellende Elternteil, der den Titel erwirkt hat, nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes (auch hinsichtlich der Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit) nicht mehr zur Vollstreckung der titulierten Kindesunterhaltsansprüche befugt ist.
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Vollstreckbarerklärung der Unterhaltsaussprüche in einem türkischen Scheidungsverbundurteil. Durch Urteil des zuständigen Familiengerichts in der Türkei vom 27.10.2015 wurden die Ehe der Beteiligten geschieden und der Antragsgegner verpflichtet, ab Rechtskraft des Urteils einen mtl. Ehegattenunterhalt i.H.v. 600 € und für den im Dezember 2001 geborenen Sohn der Beteiligten einen mtl. Kindesunterhalt i.H.v. 700 € an die Antragstellerin zu zahlen. Die Entscheidung ist seit dem 27.10.2015 rechtskräftig.
Die Antragstellerin beantragte im Februar 2019, das türkische Urteil hinsichtlich der Aussprüche zum Ehegatten- und Kindesunterhalt für vollstreckbar zu erklären. Sie beschränkte ihren Antrag später für den Kindesunterhalt auf den Zeitraum vom 27.10.2015 bis zum 27.6.2018, weil der Sohn der Beteiligten, der bis dahin bei der Antragstellerin in der Türkei gelebt hatte, am 27.6.2018 zum Antragsgegner nach Deutschland gezogen ist.
Das AG versah die beiden Unterhaltsaussprüche des türkischen Urteils antragsgemäß mit einer Vollstreckungsklausel nach § 41 AUG. Hiergegen legte der Antragsgegner Beschwerde ein. Nach einem gerichtlichen Hinweis erwirkte die Antragstellerin die Anerkennung der im Urteil vom 27.10.2015 ausgesprochenen Ehescheidung nach § 107 FamFG. Das OLG wies die Beschwerde zurück. Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er weiterhin die Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung erstrebt, hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Vollstreckbarerklärung der türkischen Unterhaltsaussprüche ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Einer Vollstreckbarerklärung der Unterhaltsaussprüche steht nicht bereits der Umstand entgegen, dass die Antragstellerin keine vollstreckbare Ausfertigung des türkischen Urteils und somit keinen Nachweis für dessen Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat vorgelegt hat. Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung ist sowohl nach dem HUVÜ 1973 als auch nach dem HUÜ 2007, dass diese Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist. Vor diesem Hintergrund sieht Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 HUVÜ 1973 die Vorlage von Urkunden vor, aus denen sich ergibt, dass gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig ist und ggf. dass die Entscheidung dort vollstreckbar ist, während Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 die Vorlage eines schriftlichen Nachweises verlangt, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist.
Der Senat hat indes zum HUÜ 2007 entschieden, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens das Beschwerdegericht nicht daran hindern, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen. Der Umstand, dass ein gesondertes Schriftstück zum Nachweis der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat nicht vorgelegt wurde, steht daher anderweitigen Feststellungen grundsätzlich nicht entgegen. Ob ein Rechtskraftvermerk beigebracht werden kann, ist bei unstreitig gegebener Rechtskraft nicht maßgeblich. Wenn die zu vollstreckende Entscheidung nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten rechtskräftig ist, bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte für die Annahme, aus ihr könne dennoch nicht vollstreckt werden. Nichts anderes kann für das HUVÜ 1973 gelten, das grundsätzlich keine weitergehenden Unterlagen als das HUÜ 2007 fordert und in seinem Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 "gegebenenfalls" einen Nachweis über die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung vorsieht (siehe BGH v. 24.8.2022 - XII ZB 268/19, FamRZ 2022, 1719).
Letztlich ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde ferner geltend, das OLG habe nicht beachtet, dass die Antragstellerin in Bezug auf den Kindesunterhaltsanspruch nicht mehr "aktivlegitimiert" und daher im Vollstreckbarerklärungsverfahren auch nicht antragsberechtigt sei, weil der materiell berechtigte Sohn der Beteiligten inzwischen volljährig sei und erklärt habe, er wolle keine Unterhaltsansprüche gegen den Antragsgegner geltend machen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob ein nach türkischem Recht titulierter Kindesunterhaltsanspruch materiell dem Kind zusteht. Vorliegend kommt es auf diese Frage jedoch nicht entscheidungserheblich an. Denn selbst wenn man insoweit unterstellte, dass es sich um einen dem Sohn der Beteiligten zustehenden Anspruch handelt und der Eintritt seiner Volljährigkeit auch nach türkischem Rechtsverständnis dazu geführt hat, dass die Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis der Antragstellerin hinsichtlich der geltend gemachten Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit entfallen ist, würde es sich dabei nicht um eine Einwendung handeln, die gegen die Vollstreckbarerklärung des türkischen Urteilsausspruchs zum Kindesunterhalt erhoben werden könnte.
In der Gesamtschau ist aus dem Sinn und Zweck des HUÜ 2007 und insbesondere aus den Regelungen in Art. 23 HUÜ 2007 abzuleiten, dass ein Rechtsmittel gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels nur auf die dort genannten Gründe gestützt werden kann. Daher ist die (der Ausführung verschiedener völkerrechtlicher Verträge dienende) Vorschrift des § 59 a AUG, die im Beschwerdeverfahren allgemein nachträgliche Einwendungen gegen den Anspruch selbst zulässt, jedenfalls in Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem HUÜ 2007 einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Schuldner mit seiner Beschwerde vorbehaltlich des Art. 23 Abs. 7 HUÜ 2007 grundsätzlich nur die nachträgliche Erfüllung der Schuld geltend machen kann. Somit kann sich der Antragsgegner hier nicht auf einen etwaigen Wegfall der Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis der Antragstellerin berufen. Diese Einwendung wäre ggf. in einem späteren Vollstreckungsverfahren zu erheben, ohne dass der Antragsgegner damit nach § 66 Abs. 2 AUG präkludiert wäre.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung
Art. 25 I HUÜ, § 293 ZPO: Feststellung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Unterhaltstitels [m. Anm. Kern, S. 1722]
BGH vom 24.08.2022 - XII ZB 268/19
Christoph A. Kern, FamRZ 2022, 1719
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